Bennholdt-Thomsen & Mies, Postmodernismus, 1997

die Ideologie des Vergessens und die Entmaterialisierung der Frau

Was wir in der deutschen Frauenbewegung über die Abkehr von den Anfängen beobachtet haben, ist keine Einzelerscheinung. Dieser Trend ist vor allem in den USA verbreitet, von wo er sich seit etwa 1980 unter dem Banner des postmodernen Feminismus als die neue theoretische Grundlage über die ganze Welt verbreitet hat.

Wie 1996 auf dem internationalen Frauenkongreß „Radical Feminist Politics“ in Melbourne berichtet wurde, ist der Postmodernismus inzwischen die herrschende Theorie an fast allen Frauenforschungs- und -studienschwerpunkten in der Welt, vor allem der angelsächsischen Welt. Frauen, die diese Theorie ablehnen, finden kaum mehr eine Stelle in den Women’s Studies. Lire la suite »

Bertrand Louart, Ecran Total in Lyon, 2014

Vom 31. Januar bis zum 2. Februar 2014 fand in Lyon die zweite Zusammenkunft von Ecran Total (Bildschirm Total) statt, einem Bündnis von Einzelpersonen und Kollektiven, die sich der Digitalisierung und Durchdringung ihrer Arbeitswelt oder ihres Lebensalltags mit High-Tech widersetzen.

Während der ersten Zusammenkunft, die im Oktober 2013 in Montreuil stattfand, berichteten Sozialarbeiter_innen davon, wie sie die ihnen abverlangte Vorlage von Statistiken verweigerten; Viehzüchter gaben zu Protokoll, wie sie von Verwaltungen in Bedrängnis gebracht werden, wenn sie die Bestückung ihrer Tierherden mit elektronischen Chips ablehnen; Lehrer informierten, wie sie sich der forcierten Ausstattung ihrer Schulen mit Computern, Tablets oder elektronischen Tafeln widersetzen; Beschäftigte des Buchhandels führten aus, wie die Konkurrenz von Supermärkten und des «E-Commerce» ihnen zu schaffen macht. Die Teilneh-mer_innen der verschiedenen Versammlungen kamen überein, bei Folgetreffen sich über den Charakter der gegenwärtigen Umwälzungen mehr im Detail zu verständigen sowie darüber, was wirksamer Widerstand sein kann und wie diejenigen wirksam unterstützt werden können, die für ihr Engagement bereits bestraft werden.Lire la suite »

Totaler Bildschirm, Widerstand gegen die Verwaltung und Informatisierung unserer Leben, 2016

Seit 2011 widersetzen sich in Frankreich Schaf- und Ziegenzüchter*innen der europäischen Richtlinie, die ihnen vorschreibt, elektronische Chips an den Ohren ihrer Tiere anzubringen. Sie weigern sich, ihre Herde per Computer managen zu müssen und sich den Erfordernissen der industriellen Produktion, wie etwa der Rückverfolgbarkeit, anzupassen. Sie organisieren sich mit Kolleg*innen, Nachbar*innen und befreundeten Personen, um den Kontrollen der Behörden kollektiv zu begegnen und die finanziellen Sanktionen, die ihnen auferlegt werden, gemeinsam zu bewältigen.Lire la suite »

Maria Mies, Die Subsistenzperspektive, 2005

Ich bin Maria Mies. Ich bin Soziologieprofessorin im Ruhestand und war seit 1972 hier an der Fachhochschule tätig im Fachbereich Sozialpädagogik. Außerdem habe ich sehr viel gemacht in diversen Bewegungen: Zunächst in der Frauenbewegung, aber auch die Ökologiebewegung war Teil dieser Aktivitäten, die Friedensbewegung, und in den letzten Jahren, seit 1997, bin ich in der Antiglobalisierungsbewegung aktiv.

Zunächst einmal muss ich sagen, dass wir nicht speziell von Subsistenzwirtschaft reden. Wir, das sind meine beiden Freundinnen Claudia von Werlhof und Veronika Bennholdt-Thomsen, mit denen ich Mitte der 1970er Jahre diesen Ansatz entwickelt habe. Wir reden eigentlich nicht von Subsistenzwirtschaft, sondern von Subsistenzperspektive. Das bedeutet, es ist kein ökonomisches Modell, sondern eine Neuorientierung, eine neue Sicht auf die Ökonomie. Das bedeutet etwas ganz anderes. Sie betrifft nicht nur die Ökonomie, sondern auch die Gesellschaft, die Kultur, die Geschichte und alles mögliche andere. Das zweite ist, dass viele Leute fragen: Was verstehen Sie unter Subsistenz? Dann sage ich meistens: Subsistenz steht für uns im Gegensatz zur Warenproduktion, die das Ziel der kapitalistischen Produktion ist. Die allgemeine Warenproduktion, d. h. alles, was es gibt, muss in Waren verwandelt werden. Das kann man heute besonders im Zuge der Globalisierung beobachten. Die Subsistenzproduktion hat ein ganz anderes Ziel, nämlich die unmittelbare Befriedigung menschlicher Bedürfnisse, was nicht zunächst über Geld und die Herstellung von Waren geht. Das ist ganz wesentlich für uns, dass es eine unmittelbare Produktion und Reproduktion des Lebens ist. Deshalb reden wir von « Lebensproduktion » anstatt von « Warenproduktion ».Lire la suite »

Johann Wolfgang von Goethe, Der Versuch als Vermittler von Objekt und Subjekt, 1792

Sobald der Mensch die Gegenstände um sich her gewahr wird, betrachtet er sie in bezug auf sich selbst, und mit Recht. Denn es hängt sein ganzes Schicksal davon ab, ob sie ihm gefallen oder mißfallen, ob sie ihn anziehen oder abstoßen, ob sie ihm nutzen oder schaden. Diese ganz natürliche Art, die Sachen anzusehen und zu beurteilen, scheint so leicht zu sein, als sie notwendig ist, und doch ist der Mensch dabei tausend Irrtümern ausgesetzt, die ihn oft beschämen und ihm das Leben verbittern.

Ein weit schwereres Tagewerk übernehmen diejenigen, deren lebhafter Trieb nach Kenntnis die Gegenstände der Natur an sich selbst und in ihren Verhältnissen untereinander zu beobachten strebt: denn sie vermissen bald den Maßstab, der ihnen zu Hülfe kam, wenn sie als Menschen die Dinge in bezug auf sich betrachteten. Es fehlt ihnen der Maßstab des Gefallens und Mißfallens, des Anziehens und Abstoßens, des Nutzens und Schadens; diesem sollen sie ganz entsagen, sie sollen als gleichgültige und gleichsam göttliche Wesen suchen und untersuchen, was ist, und nicht, was behagt. So soll den echten Botaniker weder die Schönheit noch die Nutzbarkeit der Pflanzen rühren, er soll ihre Bildung, ihr Verhältnis zu dem übrigen Pflanzenreiche untersuchen; und wie sie alle von der Sonne hervorgelockt und beschienen werden, so soll er mit einem gleichen ruhigen Blicke sie alle ansehen und übersehen und den Maßstab zu dieser Erkenntnis, die Data der Beurteilung nicht aus sich, sondern aus dem Kreise der Dinge nehmen, die er beobachtet.Lire la suite »

Bertrand Louart, Eine kritische Geschichte der Biologie, 2013

It is above all against this shabby mechanization of our scientific imagination, which kills all ability to notice the unforeseen, that I protest, against this mat finish over a chaos of unrecognized ignorance, this butcher-like brutality with things that cry for gentle caution.

Erwin Chargaff, Essay on Nucleic Acids, chapter 11, 1963.

 

The comparison of the universe to a machine of human contrivance is so obvious and natural, and is justified by so many instances of order and design in nature, that it must immediately strike all unprejudiced apprehensions, and procure universal approbation. Whoever attempts to weaken this theory, cannot pretend to succeed by establishing in its place any other, that is precise and determinate.

David Hume, Dialogues concerning Natural Religion, 1779.

 

André Pichot ist Historiker und Wissenschaftsphilosoph. Er forscht an der Universität von Nancy. 2011 hat er ein umfangreiches Werk publiziert, das eine sehr kritische Analyse der modernen Biologie beinhaltet. Hier eine Übersicht über dieses ungewöhnliche Buch.

 

Seit den Neunzigerjahren hat André Pichot ein Dutzend Werke über Wissenschaftsgeschichte geschrieben, im speziellen über seine Lieblingsdisziplin, die Biologie. Die Geschichte, die er schreibt, ist allerdings nicht die eines ruhig dahingleitenden Forschungsprozesses, der wie selbstverständlich zum Triumph der aktuellen Theorien über das Leben führt. Im Gegenteil, es ist eine überraschende und komplexe Geschichte, voller Irrtümer und Sackgassen, plötzlicher Wendungen und unbrauchbarer Neuorientierungen. Eine Geschichte, umgeben von Mythen, Legenden und falschen Ideen, von Betrügereien und zweifelhaften Angelegenheiten mit dem Resultat, dass es etliche Leichen im Keller gibt… Es ist vor allem die Schilderung des Triumphs einer völlig irre geleiteten Auffassung, die sich entgegen allen Beweisen des Gegenteils durchgesetzt hat, nämlich die des Lebewesens als Maschine.Lire la suite »

Miquel Amorós, Die Partei des Staates, 1998

« Wer Ursache der Macht von anderen ist,
ist es auch zu seinem eigenen Verderben. »

Machiavelli

Ein Gespenst geht um die Welt, auf der Lauer nach Lebenden; das Gespenst des Staates. Seine Beschaffenheit ist nicht mehr die zentrale Frage unserer Epoche. Den zweiten proletarischen Ansturm gegen die Klassengesellschaft einmal überwunden, ordnen sich die Interessen des Staates jenen des Kapitals unter und die Initiative fällt endgültig dem Finanzwesen zu. Die Börse hat tatsächlich Grenzen aufgelöst, und überall setzen sich die Holding, der Trust, das multinationale Unternehmen über die politischen und administrativen Instanzen hinweg. Die Abgeordneten, die Gewerkschaftsführer, die Intellektuellen, die Minister, etc. treten hinter die Manager, die Experten und das Marketing zurück. Das Konkurrenzprinzip setzt sich gegen das Organisationsprinzip durch und der Staat fügt sich der Vormachtstellung des Marktes. Die tatsächliche Macht manifestiert sich wenig in der administrativen Führung und der täglichen Politik, denn sie liegt nicht länger in den Händen des Funktionariats. Während die Macht anwächst, entrinnt sie dem Staat. Das Fortschreiten der Bürokratisierung hielt inne und Staat und Kapital, Bürokraten und Finanzleute sind wieder getrennte Realitäten. Im Gegensatz zur Entwicklung der letzten fünfzig Jahre zeigt die gegenwärtige historische Tendenz in Richtung eines allmählichen Verlustes der Hegemonialmacht des Staates.Lire la suite »

Bertrand Louart, ITER oder die Fabrik des Absoluten, 2006

Am 28. Juni 2005 beschlossen die Großmächte (Europäische Union, USA, Japan, Südkorea, Russische Föderation, China und Indien), dass das Projekt ITER [1] in Cadarache in Südfrankreich angesiedelt würde.

Am 26. Januar 2006 störten Atomkraftgegner die erste einer Reihe von öffentlichen Debatten zu diesem Thema in Aix-en-Provence. Dem Sprecher der Vereinigung «Sortir du nucléaire» (in etwa: «Weg von der Atomkraft!») zufolge ist die öffentliche Debatte über ITER eine Farce, weil alle wichtigen Entscheidungen bereits getroffen sind. Wir beginnen in dieser Nummer eine Reihe von Artikeln über dieses Projekt.Lire la suite »