Bennholdt-Thomsen & Mies, Postmodernismus, 1997

die Ideologie des Vergessens und die Entmaterialisierung der Frau

Was wir in der deutschen Frauenbewegung über die Abkehr von den Anfängen beobachtet haben, ist keine Einzelerscheinung. Dieser Trend ist vor allem in den USA verbreitet, von wo er sich seit etwa 1980 unter dem Banner des postmodernen Feminismus als die neue theoretische Grundlage über die ganze Welt verbreitet hat.

Wie 1996 auf dem internationalen Frauenkongreß „Radical Feminist Politics“ in Melbourne berichtet wurde, ist der Postmodernismus inzwischen die herrschende Theorie an fast allen Frauenforschungs- und -studienschwerpunkten in der Welt, vor allem der angelsächsischen Welt. Frauen, die diese Theorie ablehnen, finden kaum mehr eine Stelle in den Women’s Studies.

Auch in Deutschland sind die akademischen Diskurse um Differenz, Identität, „Gender“, Macht von der amerikanischen postmodernen Diskussion beeinflußt. Die Ideen des Postmodernismus gelten nicht nur als das „Neueste“ in bezug auf feministische Theoriebildung, sondern dienen vor allem der Legitimierung politischer Kehrtwendungen wie den eben beschriebenen. Gleichzeitig werden die Anfänge der neuen deutschen Frauenbewegung verdrängt und vergessen. Die postmoderne Ideologie leistet diesem Vergessen nicht nur Vorschub, sie besteht aus „Strategien des Vergessens“, wie Füssel es ausdrückt. Füssel unterscheidet fünf postmoderne Strategien des Vergessens.

  1. Alles ist Oberfläche und Erscheinung. Selbst die Materie ist wie eine Zwiebel, bestehend aus Schichten und Schichten von Erscheinungen. Darunter gibt es kein Wesen.
  2. Alles ist gleichwertig. Alles kann in Frage gestellt werden. Das macht alles gleichzeitig beliebig und wertlos. Wenn alles gleichgültig ist, entfällt jeglicher Grund, eine Möglichkeit gegenüber einer anderen zu wählen.
  3. Es gibt keine Beziehung mehr zwischen Input und Output im Produktionsprozeß. Es zählt nur das Resultat – in Form von Geld. Vergessen wird, wer diesen Prozeß steuert und in wessen Interesse er geschieht.
  4. Klassenunterschiede werden vergessen und ersetzt durch den Konsumismus, der Massen und Eliten in einer homogenisierten, globalisierten Kultur verbindet. Je nach Marktwert wird das „Traditionelle“, „Ethnische“ oder das „Moderne“ kodiert.
  5. Niemand bezieht mehr Stellung. Es gibt nur noch unterschiedliche Meinungen, die nebeneinander bestehen. Sie sind privat und folgenlos: „Vor allem muß Streit vermieden werden. Die Konfrontation des Gegensätzlichen weicht dem Nebeneinander des Unterschiedlichen. » Es gibt keine vereinigende Vision und Strategie mehr [1].

Der Begriff „Postmoderne“ wurde von dem französischen Philosophen Jean Frangois Lyotard in La Condition postmoderne (1979, dtsch: Das postmoderne Wissen, 1986) erstmalig verwendet. Lyotard rechnet in diesem Buch mit „der Moderne“ ab, die für ihn – und alle weiteren Anhänger der Postmoderne – mit der Aufklärung im 18. und 19. Jahrhundert anfängt und nun angeblich zu Ende gegangen ist.

Die Postmoderne stellt vor allem den Rationalitätsbegriff der Aufklärung in Frage und damit sowohl den Menschen als verantwortliches, bewußtes Subjekt (der Geschichte) als auch eine materielle bzw. „essentielle“ Wirklichkeit der Welt, eine Geschichte, die nicht sprachliches Konstrukt ist. Für die Postmoderne gibt es keine gegebene, erkennbare Wirklichkeit mehr, sie wird nur jeweils sprachlich konstruiert durch orts-, zeit- und kontextgebundene Diskurse.

Wenn wir uns fragen, warum sich (vor allem nordamerikanische) Feministinnen ausgerechnet die Ideen dieser (männlichen) französischen postmodernen Philosophen zu eigen gemacht haben, stellen wir fest, daß es eine gewisse Gemeinsamkeit in der Vernunftkritik beider Gruppen gibt, die u.E. auf ganz verschiedenen Praxen und Visionen beruht. Die Philosophen kamen von der theoretischen Marx- und Freud-Kritik zu ihren postmodernen Schlüssen. Die Feministinnen hingegen kamen, zumindest in den Anfängen, aus der Frauenbewegung und der Kritik an patriarchaler Gewalt und frauen- und naturfeindlicher Technologie (Atom-, Gen- und Reproduktionstechnologie) zu ihrer Kritik am herrschenden Wissenschaftsparadigma [2].

Allerdings ging dieser Bezug zur Frauenbewegung und zur politischen Praxis in den USA schnell verloren, vor allem in den Jahren, als an fast allen Universitäten Women’s Studies als reguläre Abteilungen eingerichtet und neue Lehrstühle für Frauenforschung institutionalisiert wurden. Mit dieser Institutionalisierung einher ging nicht nur die Etablierung des Gender-Diskurses, der bereits 1975 von Gayle Rubin initiiert worden war3, sondern auch die Etablierung des feministischen Postmodernismus als der dominanten feministischen Theorie in den Hochschulen. Politisch wurde dieser Postmodernismus in den USA vor allem wegen der Differenztheorie und dem pluralistischen radikalen sozialen Konstruktivismus favorisiert, denn in den USA hatten sich vor allem schwarze Frauen und Frauen anderer ethnischer Gruppen gegen die Dominanz weißer Mittelklasse-Feministinnen zur Wehr gesetzt. Für diese Situation paßte der Differenzdiskurs. Hinfort gehörte es zur political correctness, nach „gender“ auch immer gleich „race, class, sexual orientation, ethnicity“ gebetsmühlenhaft aufzuzählen, um nur ja nicht in den Verdacht zu geraten, eine von diesen Kategorien zu „essentialisieren“, d.h. als soziales oder biologisches Fundament gesellschaftlicher Praxis anzusehen.

Diese Wende im angelsächsischen Feminismus geschah um 1980, zur Zeit der Reagonomics und des Thatcherismus. Es paßt in diesen politischen Kontext, daß Feministinnen in England und den USA alle früheren, radikaleren, umfassenderen Gesellschaftstheorien, vor allem die linker Provenienz, ad acta legten und sich einer Vielzahl begrenzter lokaler Forschungsprojekte zuwandten. Nancy Fräser und Linda Nicholson geben offen zu, daß diese Wende im angelsächsischen Feminismus mit der Institutionalisierung der Frauenforschung in den Universitäten zusammenhängt. Sie schreiben, feministische Forscherinnen hätten seit 1980 aufgehört, nach der großen theoretischen Erklärung für den fortdauernden Sexismus zu suchen, und sich statt dessen begrenzteren Forschungsfragen zugewandt.

“Ein Grund für diesen Wandel ist die zunehmende Legitimität von feministischer Forschung. Die Institutionalisierung von Frauenstudien in den Vereinigten Staaten bedeutete einen dramatischen Anstieg der Zahl feministischer Forscherinnen, eine viel größere wissenschaftliche Arbeitsteilung und einen größeren Fonds konkreter Information.” [3]

Die Institutionalisierung von Frauenstudien in den USA hatte also einen ähnlichen Effekt wie die Institutionalisierung grüner, ökologischer und feministischer Politik in Deutschland: die Verdrängung bzw. Vernichtung der Anfänge. Dies ging einher mit der Übernahme zentraler postmoderner Theorieteile in die neu etablierte „feministische Theorie“, vor allem der Übernahme des radikalen sozialen Konstruktivismus im Gender-Diskurs. „Frau“ war hinfort nur noch ein soziales und kulturelles Konstrukt; damit einhergehend die Diskurstheorie, die die soziale Wirklichkeit in Diskurse, d.h. „Texte“ auflöst und ihr außerhalb solcher Diskurse keine Wirklichkeit zubilligt. Zentral war/ist in dieser neuen postmodernen feministischen Theorie vor allem die Zurückweisung des Essentialismus.

Essentialismus – die neue Todsünde

Postmoderne Feministinnen sind trotz ihrer Ablehnung universalistischer Äußerungen in einem absolut einig: Der größte theoretische Sündenfall ist der Essentialismus. Er wird in allen möglichen Texten aufgespürt und de-konstruiert, und auch in den eigenen Texten sind sie dauernd auf der Hut, nicht in essentialistische Fallen zu tappen.

Was ist Essentialismus? Danach befragt, können postmoderne Feministinnen meist nichts anderes angeben als das, was wir in den siebziger Jahren Biologismus genannt haben: daß die Anatomie von Frauen und Männern und nicht soziale, polit-ökonomische und historisch gewordene Verhältnisse als Ursache der patriarchalen Geschlechterverhältnisse angesehen wird. Postmoderne Feministinnen fügen diesem biologischen Essentialismus allerdings noch den sozialen hinzu, was bedeutet, daß auch soziale und kulturelle Verhältnisse essentialisiert werden können. Das heißt, sie werden nicht mehr als relativ und von der jeweiligen Sichtweise und Situation abhängig angesehen, sondern als quasi-naturgegeben.

Dabei stellt sich aber für Feministinnen ein Problem, das von einigen postmodernen Theoretikerinnen auch bemerkt wurde. Wenn der Kategorie „Frau“ nur noch eine lokal und ad hoc begrenzte, auf jeweiligen Ansichten beruhende Wirklichkeit zukommt, wird es fast unmöglich, noch politische Kämpfe im Namen der Frauenbefreiung oder der Frauenemanzipation zu führen. Dann sind keine Gemeinsamkeit, keine Moral, kein Wir-gehören-zusammen, keine politische Handlungsmöglichkeit mehr denkbar. Denn um politisch aktiv werden zu können, braucht frau wenigstens eine etwas größere „Erzählung“, sprich einen etwas größeren empirischen und theoretischen Rahmen als ihren eigenen Tellerrand [4]. Außerdem muß frau sich und andere Frauen zumindest als Subjekt und real und ihre politischen Ziele als wichtig und wirklichkeitsgerecht im Rahmen einer Langzeitperspektive verstehen können, wenn sie sich überhaupt engagieren will. Aber der postmoderne Feminismus läßt einen solchen Essentialismus nicht zu. Judith Butler beschreibt das Dilemma: Nach Julia Kristeva existieren „Frauen“ eigentlich nicht. Deshalb schlägt Kristeva vor, die Kategorie Frau als politisches Instrument zu benutzen, ohne ihr aber ontologische Integrität zuzubilligen. Butler zitiert Gayatri Spivak, die argumentiert, daß Feministinnen einen operationellen Essentialismus, eine falsche Ontologie der Frau als universelle Kategorie konstruieren müßten, damit sie ihr politisches Programm überhaupt in Angriff nehmen können [5].

Um also politisch handeln zu können, muß frau so tun, als ob der Kategorie Frau universelle ontologische Wirklichkeit zukäme. Um theoretisch argumentieren zu können, muß sie genau dies aber um jeden Preis leugnen. Hier sind wir bei dem Punkt angelangt, den Somer Brodribb (1993) als den neuen Idealismus in der feministischen Theorie kritisiert hat. Er hat u.E. nicht nur zu einer weiteren Spaltung zwischen Theorie und Praxis, zu eifier absoluten Verwirrung des Denkens, sondern auch zu einer weitgehenden Entpolitisierung und Ohnmacht der Feministinnen, speziell der jungen Frauen in den Hochschulen geführt, und das zu einer Zeit, in der klares Denken und entschlossenes Handeln notwendiger sind denn je.

Somer Brodribb ist eine der ersten Feministinnen, die darauf hingewiesen haben, daß die Eliminierung der Materie und der Geschichte in der postmodernen, poststrukturalistischen Ideologie und ihre Ersetzung durch Diskurse und Narrative letzten Endes auf der „Ermordung der Mutter“ als des Beginns menschlichen Lebens beruht. In Nothing Mat(t)ers: A Feminist Critique of Postmodernism [6] erinnert sie uns an die gemeinsame linguistische Wurzel von „mater » und „materia“. Sie weist nach, daß die patriarchalen Kultheroen des Postmodernismus, Nietzsche, Lacan, Lyotard, Derrida, Foucault, die Tatsache nicht akzeptieren konnten, daß wir alle von Frauen geboren werden und wie alle anderen organischen Kreaturen sterben. Somer Brodribb identifiziert den „Mord der Anfänge“ in der Form des tatsächlichen oder symbolischen Frauen- bzw. Muttermordes als den wichtigsten Impetus postmodernen Denkens. Ohne diesen Mord der mat(t)er als unseres Ursprungs in dieser Welt, ohne die Entmaterialisierung, Verdunkelung oder Mystifizierung dieses Ursprungs wäre es nicht möglich, den Mann als Erschaffer der Kultur, der symbolischen Ordnung, vor allem der Technologie zu feiern. Postmoderne Männer und Frauen, die in diese symbolische Ordnung „aufsteigen“ wollen, müssen daher als erstes vergessen, daß sie von einer Frau geboren wurden [7]. Sie verstehen sich als selbst-„konstruiert », durch die Kombination der Maschinen-Logik mit organischen „Systemen“. Sie sind Cyborgs, wie Donna Haraway schreibt [8].

Dieser postmoderne Muttermord hat einen neuen Idealismus produziert, der nicht nur die gesamte Realität zu einem „Text“, zu einer „Erzählung“ reduziert, sondern auch die Erinnerung an unsere individuellen Anfänge, unsere gesellschaftliche Geschichte, aber auch an das Band vernichtet, das uns mit dem Rest der organischen und inorganischen Welt verbindet, an unser Verwurzeltsein in der Natur als etwas Gegebenem und nicht Konstruiertem.

Warum Feministinnen, vor allem in den Zentren des industriellen Kapitalismus, auf diese Ideologie abfahren, sie im Namen der Frauenemanzipation nicht nur in den „Gender Studies“, sondern auch in der Politik propagieren, ist uns unverständlich. Denn es geht in dieser Ideologie nicht um den Widerstand gegen das globalisierte kapitalistische Patriarchat, sondern um die „Emanzipation“ vom Ursprung, den symbolischen Müttern, den wirklichen Müttern und von Mutter Erde. Für Frauen bedeutet diese „Emanzipation“, daß sie, wie Renate Klein schreibt, schließlich „körperlos im Cyberspace“ schweben [9]. Erst in einer virtuellen Wirklichkeit können sie sich als frei und gleich empfinden. Die postmoderne Kritik am „Essentialismus“ z.B. des Ökofeminismus hat u.E. ihre Wurzeln in diesem Verleugnen der Ursprünge, unserer weiblichen Körper, der wirklichen Mütter und der symbolische Ordnung der Mütter. Für Frauen kann dieser Haß nur selbstzerstörerisch sein. Gen- und Reproduktionstechnik befreien sie dann endgültig von diesem lästigen weiblichen Leib. Barbara Duden beschreibt in ihrer Kritik an Judith Butler diese entmaterialisierte postmoderne Frau als „Frau ohne Unterleib“ [10].

Diese Leugnung der materiellen Ursprünge geht einher mit der Hoffnung, endlich Zugang zum patriarchal und technokratisch definierten Reich der Männer, der Kultur, dem „Reich der Freiheit“ zu gewinnen. Es ist der alte Traum aller Unterdrückten, durch „nachholende Entwicklung“ ins Herrenhaus aufzusteigen, statt dem Herrenhaus den Rücken zu kehren. Im heutigen akademischen Diskurs der Frauenstudien weltweit heißt das, Anschluß an den akademischen „Male-Stream“ [11] zu gewinnen. Dieser „Male-Stream“ ist mehr denn je gekennzeichnet durch die Trennung von Praxis und Theorie, durch Spezialisierung, Hierarchisierung und zunehmende Entpolitisierung von Studierenden und Studieninhalten.

Die postmoderne Re-Akademisierung der Frauenforschung fand in den angelsächsischen Ländern unter dem Begriff „gender-studies“ statt, der den Begriff „women’s studies“ ablöste. Dieser Gender-Diskurs hatte den Effekt, Frauenstudien respektabel und für Männer zugänglich zu machen. Denn er ließ den Begriff „Frau“ – und alles, was damit assoziiert wird – aus dem akademischen und öffentlichen Diskurs verschwinden. Ebenso verschwanden die Begriffe Patriarchat und Kapitalismus oder kapitalistisches Patriarchat, durch die wir das System der Frauenausbeutung bezeichneten. Von „Gender“ zu reden, war anständig und bedrohte niemanden. „Gender“ trennte wieder säuberlich Sexualität und unseren organischen weiblichen Körper von den abstrakten und angeblich „höheren“ Bereichen wie Kultur, Gesellschaft, Geschichte, Ökonomie. Maria Mies hat bereits 1986 darauf hingewiesen, daß auch „Sex“ bei uns Menschen eine soziale und historische Kategorie ist und sie deshalb die Trennung zwischen „Sex“ und „Gender“ ablehnt. In der etablierten Frauenforschung in Deutschland wird es jedoch inzwischen als fortschrittlich angesehen, von „Gender“-Forschung statt von „Frauenforschung“ zu reden. Würde man wenigstens von „Geschlechterforschung“ reden, wäre das koloniale Nachplappern des angelsächsischen Diskurses weniger peinlich.

Diese Re-Akademisierung der Frauenforschung braucht den Mord an den Anfängen. Die Methode ist immer die gleiche: Zuerst werden die Fakten beseitigt oder verschwiegen, nämlich daß Frauenforschung aus der Frauenbewegung erwuchs. Nicht die Frauenbewegung und deutsche Feministinnen werden als Ursprung der Frauenforschung genannt, sondern die Übersetzungen der Werke US-amerikanischer Feministinnen [12]. Dann wird die Geschichte auf den Kopf gestellt und behauptet, die Frauenbewegung sei aus der Frauenforschung erwachsen.

Das Vergessen der eigenen Mütter und Ursprünge ist nicht nur ein Problem der Literatur, sondern hat eine Reihe international bekannter Pionierinnen der deutschen Frauenforschung existentiell getroffen. Sie finden keinen Platz an deutschen Universitäten. Zu den „vergessenen Müttern“ gehören Luise Pusch, Senta Trömel-Plötz, Heide Göttner-Abendroth, Veronika Bennholdt-Thomsen, um nur einige zu nennen [13].

Nachdem frau sich so von den radikalen „Müttern“ distanziert und ihre Loyalität gegenüber dem Mainstream demonstriert hat, ist der vierte Schritt, Bruchstücke aus dem Werk der „Mütter“ herauszubrechen, mit anderen Bruchstücken zu kombinieren und als originales eigenes Werk herauszugeben. Damit ist frau dann selbst der Anfang eines Neuen.

Dieser Prozeß des Muttermordes oder die Emanzipation von den Müttern folgt genau den Etappen, die Catherine Keller in ihrem Buch „Der Ich-Wahn“ als Geheimnis der patriarchalen Ideologie in Europa identifiziert hat. Sie führt diese Ideologie auf den sumerischen Mythos von Marduk und Tiamat zurück. Marduk, der Krieger-Sohn, muß seine Mutter Tiamat – das Seeungeheuer – töten, ihren Körper in Stücke schneiden und die Stücke übers Land verteilen. Aus diesen Stücken erwachsen dann die neuen Kulturzentren und die patriarchale Zivilisation [14]. Nicht nur patriarchale Männer folgen dieser Methode, um ihre Ursprungsmythen zu schaffen. Frauen benutzen heute dasselbe Schema. Der Prozeß des Muttermordes, Zerstörung der weiblichen Genealogie, der Dekonstruktion und Rekonstruktion zu neuen „Erzählungen“ ist lediglich eine Angelegenheit von einigen Stunden Word-Processing auf einem Computer. Und schon gibt es einen anderen Anfang, eine andere Geschichte.

Selbst dort, wo deutsche akademische Feministinnen den GenderDiskurs, vor allem in Butlers Werk, kritisieren, sind sie peinlich darauf bedacht, jeden „Essentialismus“ zu vermeiden und die prinzipielle und dualistische Spaltung zwischen unserem organischen Frauenleib, den wir mit den Säugetieren teilen, und unserer Symboltätigkeit, die uns erst eigentlich zu Menschen mache [15], aufrechtzuerhalten.

Für alle ist die Sprache das Kennzeichen des Humanen, das uns von den Tieren unterscheidet.

Uns wundert, daß diese Feministinnen solch panische Angst davor haben, Tier-Sein und Mensch-Sein als Kontinuum zu denken. Was uns noch mehr wundert, ist die Tatsache, daß eins der wichtigsten Postulate des Konstruktivismus von ihnen kaum beachtet wird, nämlich zu fragen, in welchem historischen Kontext welche Diskurse von welchen Akteurinnen zu welchen Zwecken und in wessen Interesse initiiert und popularisiert werden. Hätten sie diese Frage gestellt, wäre ihnen vielleicht aufgefallen, daß der Aufstieg der Postmoderne zur Hegemonie in den Hochschulen, vor allem in den Women’s Studies, einherging mit dem Zusammenbruch des Sozialismus, aber auch mit dem Siegeszug der neoliberalen Wirtschaftspolitik, zunächst von Thatcher und Reagan, dann institutionalisiert und universalisiert durch GATT/WTO. Es fällt ihnen offensichtlich nicht auf, daß die Postmoderne genau die Ideologie ist, die das globale patriarchale Kapital braucht, um jede Subversion von vornherein unmöglich und die Menschen durch nihilistischen Hedonismus weltweit zu bewußtlosen, gewissenlosen, entpolitisierten Zwangskonsumenten zu machen, für die „anything goes and nothing matters“ [16].

 

Text aus dem Buch
Maria Mies & Veronika Bennholdt-Thomsen
Eine Kuh für Hillary.
Die Subsistenzperspektive.
Verlag Frauenoffensive, München, 1997.

 


[1] Kuno Füssel, «Es gilt, absolut plural zu sein, Kritische Überlegungen zum Diskurs der Postmoderne», dans Kuno Füssel & al., Die Sowohl-als-auch-Falle: eine theologische Kritik des Postmodernismus, Lucerne, Exodus, 1993, p. 35-81.

[2] Carolyn Merchant, The death of Nature: woman, ecology and the scientific revolution, New York, Paperback, 1980; Evelyn Fox Keller, Reflections on Gender and Science, New Haven, Yale University Press, 1985; Nancy Chodorow, The Reproduction of Mothering: Psychoanalysis and the Sociology of Gender, Berkeley, University of California Press, 1978; Carol Gilligan, In a Different Voice: Psychological Theory and Women’s Development, Cambridge, Harvard University Press, 1982.

[3] Nancy Fraser & Linda Nicholson, «Social Criticism without Philosophy: An Encounter between Feminism and Postmodernism», in Linda Nicholson (ed.), Feminism/Postmodernism, New York – Londres, Routledge, 1990, p. 32.

[4] Nancy Fraser & Linda Nicholson, op. cit., p. 26.

[5] Judith Butler, «Gender Trouble», in Linda Nicholson, Feminism/Postmodernism, op. cit., p. 325.

[6] Somer Brodribb, Nothing Mat(t)ers: A Feminist Critique of Postmodernism, New York, New York University Press, 1992.

[7] Adrienne Rich, Of Woman Born: Motherhood as Experience and Institution, New York, Norton, 1976.

[8] Donna Haraway, «A Manifesta for Cyborgs: Science, Technology, and Socialist Feminism in the 1980s», in Linda Nicholson (ed.), Feminism/Postmodernism, op. cit., 190-233.

[9] Renate Klein, «Dead Bodies Floating in Cyberspace: Postmodernism and the Dismemberment of Women», in Diane Bell & Renate Klein (ed.), Radically Speaking: Feminism Reclaimed, Melbourne – Londres, Spinifex – Zed Books, 1996, p. 346-358.

[10] Barbara Duden, «Die Frau ohne Unterleib : Zu Judith Butlers Entkörperung. Ein Zeitdokument», Feministische Studien, vol. 11, n°2, 1993, p. 24-33.

[11] Mary O’Brien, Reproducing the World: Essays in Feminist Theory, Boulder, Westview Press, 1989.

[12] Hannelore Bublitz, «Feministische Wissenschaft: Patriarchatskritik oder Geschlechterforschung?», in Ingeborg Stahr (ed.), Wenn Frauenwissen Wissen schafft: 10 Jahre Frauenstudien und Frauenforschung an der Universität GH Essen, Essen, Hochschuldidaktisches Zentrum, Bereich Frauenstudien, Frauenforschung, 1992, p. 23-36.

[13] Claudia von Werlhof, Mutter-Los: Frauen im Patriarchat zwischen Angleichung und Dissidenz, Munich, Frauenoffensive, 1996.

[14] Catherine Keller, From a Broken Web: Separation, Sexism and Self, Boston, Beacon Press, 1987.

[15] Hilge Landweer, «Kritik und Verteidigung der Kategorie “Geschlecht”. Wahrnehmungs- und symboltheoretische Überlegungen zur sex/gender-Unterscheidung» Feministische Studien 11(2), 1993, p. 34-43.

[16] Somer Brodribb, Nothing Mat(t)ers: A Feminist Critique of Postmodernism, Melbourne, Spinifex, 1992.

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